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Mittwoch, 29. Oktober 2014

Faszien, Formalin und attraktive Allgemeinmedizin

Tja. Ich hatte euch ja vorgewarnt, und nun kommt der Beitrag zum wahrscheinlich ekligsten Thema des gesamten Medizinstudiums: dem Präppen.
Da aber seit Montag ein wenig Zeit vergangen ist, weil ich mal wieder nicht zu dem Zeitpunkt zum Blogge gekommen bin, zu dem ich wollte, wird der Post nicht nur vom Präppen handeln, sondern auch von der heutigen Berufsfelderkundung, was ich später noch genauer erklären werde. Sofern ich dazu komme, alles heut zu schreiben. Aber wahrscheinlich werde ich das, weil ich mich gerade nämlich äußerst effektiv vor dem Lernen der dorsalen epifaszialen Strukturen drücke.

Wie ich es beim vorletzten Eintrag bereits angekündigt hatte, hatte ich am Montag also das erste Mal Präppen. Und eine Scheißangst davor. Zugegeben, ich habe mich am Abend zuvor auch schön blöd angestellt. Bis fünf Uhr morgens wachgeblieben und somit gerade mal eine Stunde geschlafen, weil ich immer auch noch eine Weile brauche, um einzuschlafen, und das nicht mal wegen feiern, sondern wegen chatten. Warum ich die Müdigkeit den ganzen Vormittag über kaum gespürt habe, ist mir noch immer ein Rätsel. Jedenfalls hatte ich also eine Stunde geschlafen und am Morgen außer einer Reiswaffel und zwei Bechern Kaffee (die ich dringend nötig hatte) nichts zu mir genommen. Und zwar mit voller Absicht. Uns wurde ja geraten, für das Präppen ordentlich zu frühstücken, aber direkt davor nichts mehr zu essen, um sowohl einer Ohnmacht, als auch Erbrechen vorzubeugen. Das geht nun nicht, wenn man so früh schon Präppen hat. Und da ich unter einer leichten Emetophobie leide, habe ich beschlossen, dass Umkippen für mich eindeutig das kleinere Übel wäre.
Herrlich unvorbereitet war ich natürlich auch noch, weil ich mir zwar einen Präparierkittel und Präparierbesteck zugelegt hatte, aber keine Handschuhe. Deshalb musste ich morgens, bevor ich zur Uni gegangen bin, noch einmal schnell zum Aldi um die Ecke rennen, um mir eine Packung Einweghandschuhe zu besorgen. Tja, und einen Spind im Anatomie-Gebäude hatte ich auch noch nicht, den hab ich erst seit gestern. :P Wobei das Wort "Spind" eine sehr nette Bezeichnung für diese winzigen Ritzen ist, die man besser mit einer Lupe suchen sollte.

Jedefalls hatte ich also eine Scheißangst vorm Präppen. Als ich dann, mit dem Kittel bekleidet und meinem Besteck und der Handschuhschachtel in der Hand die Treppen in den Präpsaal hochgegangen bin, ging es mir nicht gut. Überhaupt nicht. Ich konnte nicht ganz beurteilen, ob dieses Gefühl in meinem Magen Hunger oder Übelkeit war und wollte es auch lieber nicht wissen, und vor allem wollte ich mich lieber an die Wand lehnen und die Augen zumachen als in diesen Saal reinzugehen. Dazu muss ich sagen, dass mir die Leichen keine Angst gemacht hatten, wohl aber die Gerüche. Ich bin nun sehr geruchsempfindlich und habe mich als Kind wegen Gerüchen oft übergeben müssen. Das und Kotzangst ist keine gute Kombination. Aber als ich reingegangen bin, war es gar nicht schlimm! Es roch nicht ganz angenehm, nach Formalinlösung, wie ich später erfahren habe. Diese Lösung wird den Körpern zur Fixierung injiziert. Allerdings war der Geruch von Anfang an nicht sonderlich stark und nach einiger Zeit habe ich mich so sehr daran gewöhnt, dass ich ihn kaum wahrgenommen habe. Dafür war es dann doch ein äußerst merkwürdiges Gefühl, durch diesen Saal zu gehen, in dem lauter Tische mit zugedeckten Leichen herumstanden. Man hat kaum etwas von ihnen gesehen, weil sie in feuchte Tücher eingewickelt sind und auch noch eine Plastikplane darüberliegt. Die Tücher müssen sein, weil die Fixierlösung stark ethanolhaltig ist und die Leiche sonst austrocknen würde, außerdem enthält die Lösung, in die die Tücher getunkt werden, soweit ich weiß auch ein Mittel, das Pilze abtötet. An einigen Tischen konnte man durch die Plane allerdings bereits präparierte Füße erkennen, die nicht mehr eingewickelt wurden. Bzw das, was an den Füßen noch dran war.

Wie auch immer, wir haben uns also mit einem Tutor (einem Studenten aus einem höheren Semester) und einem Dozenten am Tisch zusammengefunden, pro Leiche ca. 10-15 Leute. Die haben uns einige Dinge erklärt, die ich zuvor bereits im dazugehörigen Skript gelesen (oder eher überflogen) hatte. Dass es wichtig ist, den Präptisch und das Präparat immer sauber zu halten und sorgfältig zu arbeiten. Nicht nur, um einen maximalen Lerneffekt zu erzielen, sondern auch, um eine respektvolle Haltung gegenüber dem Körperspender zu wahren und sorgsam mit seinem Körper umzugehen. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich hier kein Bild von "unserer" Leiche veröffentliche - Handys und elektronische Geräte sind im Präpsaal verboten und Fotos darf man nicht machen. Aber ich denke mal, ihr wollt vielleicht auch nicht unbedingt alles im Detail betrachten. ;)

Dann wurde jedenfalls die Leiche aufgedeckt - ein älterer, wohlgenährter Mann, der seit etwa 1-2 Jahren tot war und dort gelagert wurde. Vermutlich wegen der Lösung waren so gut wie alle Haare ausgefallen und die Haut war ziemlich gelblich. Aber er sah in Ordnung aus. Einerseits ganz klar erkennbar ein menschlicher Körper, andererseits hatte er rein gar nichts mit einem lebenden Menschen gemeinsam. Wir sind das Ganze dann langsam angegangen und sollten den Körper zuerst einmal anfassen, ein Gefühl dafür bekommen, wie der sich anfühlt, was für eine Konsistenz das ist. Ich muss ja zugeben, ich war anfangs wohl die größte Mimose am Tisch. Anfassen war dann doch nicht so angenehm, und ich hab das ziemlich ... zögerlich gemacht. Unten am Fuß und Unterschenkel, wo es irgendwie einfacher war. Und zwischendurch bin ich immer mal wieder einen Schritt zurückgegangen. Nein, mir ging's nicht gut. Mir war nicht übel, aber ich wollte wirklich nicht dort sein, oder zumindest nicht, ohne mich an irgendwem anlehnen zu können. Möglichst einem lebenden Menschen, der sich nicht ungewohnt kalt und steif anfühlte, keine Pusteln an der Hand hatte und nicht aufgeschnitten werden sollte.
Aber irgendwie hat sich das mit der Zeit gegeben. Vielleicht, gerade weil ich das ganze in meinem eigenen Tempo angegangen bin und mich nicht dazu gezwungen hab, sofort im Mund des Toten herumzutasten, um zu sehen, ob er noch Zähne hat. Ich habe es schon als Erfolgserlebnis empfunden, als ich das Bein richtig angepackt und hochgehoben hab, um das feuchte Tuch wegzunehmen. Und als die Dozentin an unserem Tisch die ersten Schnitte gemacht hat, an denen dann später die Haut abgetrennt werden sollte, war das wieder nicht so angenehm und bin hübsch am Fußende geblieben, als sie das Skalpell am Hinterkopf angesetzt hat.
Ich sag's ja, Mimose. :P
Tja, und dann habe ich aber als erste gefragt, ob ich es auch mal versuchen kann, und einen ein paar Zentimeter langen Schnitt unten an der Wade gemacht. Dort bin ich dann auch geblieben und habe die ganze Veranstaltung über die Haut abpräpariert. Als erstes muss man nämlich die Cutis (die obersten zwei Hautschichten) von den darunterliegenden Schichten abtrennen, indem man sie mit einer Pinzette (bah, mit einem Stück Zellstoff und der Hand geht das viel leichter) festhält und spannt und mit dem Skalpell, das man senkrecht zur Cutis hält schabende Bewegungen macht. Und ich sag's euch, es war irgendwie cool. Gut, unten am Bein ist es auch ganz nett, weil die Haut dünn ist und da kaum Fettgewebe war. Das hatte ich am nächsten Tag, als ich am oberen Rücken gearbeitet hab. Da war viel Fettgewebe, sodass ich mein Skalpell ständig abwischen musste. Fettgewebe ist gelbes, sabschiges Glibberzeug, das sich unter der Haut findet und alles vollsaut. Und ich habe leider etwas zu tief präpariert und ein gutes Stück der unter der Haut liegenden Faszie abgetrennt (einer Bindegewebsschicht, die den ganzen Körper umgibt. Und Muskeln. Und ich bin eigentlich ein unwissender Ersti und sollte lieber nicht zu viel erklären, weil's auch genausogut falsch sein könnte). Und ich glaube, auch ein Stück des Muskels.
Ähem.
Ups?
Naja, den Toten wird das nicht mehr stören, aber eigentlich sollte man lieber nicht so tief schneiden, wenn man nur die Haut abtrennen will. Ich habe dann ein Stück der Faszie, die an der umgeklappten Haut hing (sie war zu dick. Viel zu dick) mit dem Skalpell wieder abgeschnitten und an ihren Ort zurückgelegt. Soll man vermutlich nicht, oder muss man nicht, aber da hing Muskel dran und ich wollte irgendwie wieder in die richtige Schicht kommen.
Na, ist jemandem schon schlecht? :P
Diese Faszie ... die hat mich auch noch verfolgt. Ich weiß auch nicht, warum. Während des Präparierens bin ich begeistert und fasziniert dabei, aber einige Stunden später, wenn ich zu Hause bin, fällt meinem Gehirn manchmal ein, dass das ja eigentlich echt ekelhaft war. Tja, immer noch Mimose. Aber ich kann meine Mimosigkeit aufschieben. ^^
Naja, und morgen werden wir dann die ersten Strukturen präparieren, ein paar Gefäße und Nerven und den Muskel, den ich aus Versehen etwas kaputtgemacht hab. So wenig, das .. passt schon. :P Immerhin liegt das Stückchen wieder am richtigen Platz.

Heute hatte ich kein Präppen, sondern etwas anderes - für die werten Leser wahrscheinlich angenehmeres - wovon ich auch noch erzählen will. Und zwar die sogenannte Berufsfelderkundung, bei der man alle zwei Wochen zu einem Arzt fährt und ein bestimmtes Feld erkundet. Fragen stellt, mehr über den Arbeitsalltag erfährt, etc. Diese Woche war das Thema der Erkundung Ambulante Versorgung und ich bin - zugegebenermaßen, weil ich zu spät online gegangen bin, um was beim Neurochirurgen zu buchen, der war dann schon ausgebucht - bei einem Allgemeinmediziner am Arsch der Heide gelandet. Eine Stunde Weg.
Aber ich bin sowas von froh, dass ich da war! Das hat sich absolut gelohnt.
Ich bin von diesem Arzt restlos begeistert. Das war ein unglaublich freundlicher, sympathischer Mensch, dem man gerne Fragen gestellt hat, und der einige unglaublich bewundernswerte Ansichten hat. Vor allem nimmt er sich die Zeit für seine Patienten, die sie brauchen, und berät sie, wenn sie von ihrer Krankheit überfordert sind. Tja, und ich könnte jetzt noch ne Menge erzählen, aber dann würde ich bis Mitternacht nicht mehr aufhören, weil ich noch so begeistert bin, deshalb lass ich es mal. ^^
Allgemeinmedizin ist ja unter Studenten nicht sonderlich populär, es herrscht ein ziemlicher Mangel an Nachwuchsallgemeinärzten und es spricht Bände, dass nach 10 Minuten bei der Buchung bereits nur noch Allgemeinmediziner frei waren, finde ich. Aber irgendwie ... finde ich dieses Feld jetzt total spannend. Und könnte es mir auch für mich vorstellen. Gut, ich könnte mir für mich auch viele andere Sachen vorstellen, allen voran Neurologie, Psychiatrie mit Spezialisierung auf depressive Störungen oder Suchterkrankungen, Gehirnforschung, Suchtforschung, medizinische Psychologie und Soziologie und weiß der Geier was noch alles dazukommt. Und jetzt auch Allgemeinmedizin. Deshalb lege ich mich ganz einfach nicht fest und behalte alle Bereiche im Hinterkopf, die mir so begegnen und die ich toll finde.
Und in 2 Wochen werde ich dann zu einem Psychotherapeuten gehen, der sich auf Suchterkrankungen und komorbide psychische Erkrankungen spezialisiert hat. Ja, mich zieht es eben doch noch zu den Drogen, auch wenn Suchterkrankungen nicht nur Drogen beinhalten. :P Ich freu mich drauf. ^^
Und jetzt ... sollte ich wirklich mal lernen gehen, wenn das Präppen morgen mir was bringen soll. Aber vielleicht meld ich mich ja irgendwann mal wieder, wenn ich nicht gerade von meiner Hassliebe zur Anatomie eingenommen bin und vergeblich versuche, mir den Inhalt meiner Sobotta-Lernkarten einzuprägen. Mal sehen. ^^

2 Kommentare:

  1. Hilfe, du schaffst es echt, vom direkten Umgang mit einer Leiche SO zu erzählen, dass ich so abartig grinse, dass mir der Mund wehtut. :D

    Und die Vorstellung »Lia rennt kurz vorm Präppen noch zu Aldi« ist auch ziemlich cool. :D

    Und ganz ehrlich? Ich würde ... beängstigend viele schlimme Dinge tun, um einen Allgemeinmediziner zu finden, der sich ECHT kümmert. Um seinen Job. Um Probleme. Um die Menschen hinter der Diagnose. Statt einfach mal flott weiterzuüberweisen. Das wäre der Jackpot. <3

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    1. .______.
      Ach du scheiße, meine Antwort wurde nie abgeschickt. Das ... ich hatte geantwortet. Aber als ich noch mobiles Internet hatte.
      Also ein Riesen-Sorry für die Verspätung. :L

      Freut mich jedenfalls, dass der Blogeintrag unterhaltsam war. ^^ Das Präppen ist übrigens auch echt interessant. AM Anfang muss man sich dran gewöhnen, aber es hilft wirklich.

      Hehe, die Handschuhe haben ihren Dienst auch getan. Aber wenn die Packung leer ist, will ich andere mit längerem Schaft kaufen.

      Und ja, viele Ärzte sind zu gestresst, um sich noch richtig um ihre Patienten zu kümmern, hab ich das Gefühl. Worunter beide Seiten leiden, schätze ich.
      Also ich bin bisher fast nur an gute Ärzte geraden, die mir von einer Nachbarin, die selbst Ärztin ist, empfohlen wurden. Da hatte ich wohl einfach Glück. Aber ich bin auch so selten krank, dass die mich eh nur selten und dann nicht lange sehen. :P
      Wenn du in Hamburg leben würdest, könnte ich dir nen guten Allgemeinarzt empfehlen, so kann ich nur weiterhin viel Glück bei der Suche wünschen. :) ^^'

      lg, Lia

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