♫♪ Keep calm and rock on.

Montag, 9. Dezember 2013

Von Pilgern und Segelschuhen

Ich habe vor einigen Tagen das Buch "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry" von der britischen Autorin Rachel Joyce beendet. Und weil ich gerade nichts zu tun habe (ignorieren wir die zwei Essays, die ich noch überarbeiten muss) und zu meinen Geschichten sonst auch nichts zu sagen habe, wenn ich nicht spoilern will, dachte ich mir: "Hey! Warum machst du nicht auch Buchrezensionen? Dann helfen deine Posts vielleicht wirklich jemandem weiter." Ich wollte ja eigentlich einen Beitrag zum Thema Schönheit, sexuelle Attraktivität, Figur, gesellschaftliche Konditionierung, evolutionäre Psychologie etc im Halben Penny schreiben, aber dann hatte ich das Gefühl, dass das Thema so oft durchgekaut wird, dass das eh keiner lesen will. Dann eben doch das Scrapbook. Kommen wir also endlich zum Buch.

"Harold Fry" war tatsächlich eine Entdeckung im Supermarkt. In unserem REWE wurde das Buch als Spiegel-Bestseller und "Empfehlung des Monats" angeboten. Sowohl den Titel als auch das Cover fand ich sehr schön. So sieht das Buch übrigens aus:


Und das ist der Klappentext:
Eigentlich wollte er nur zum Briefkasten. Dann geht Harold Fry 1000 Kilometer zu Fuß. Von Südengland bis an die schottische Grenze - eine Reise fürs Leben, eine Geschichte über Tapferkeit und Geheimnisse, Liebe und Loyalität und ein ganz unscheinbares Paar Segelschuhe.



Die Beschreibung war mir fast etwas zu kitschig, hat mich aber inhaltlich trotzdem interessiert, außerdem hat der anglophile Teil meines Gehirns danach verlangt und so habe ich mir den Schmöker gekauft.

Ich muss ja zugeben, dass ich zwei Ansätze gebraucht habe. Ich habe das Buch angefangen, dann habe ich andere Sachen gelesen, vor allem Schullektüre, und es wieder vergessen. Das hat aber nichts mit der Qualität des Werkes zu tun, sondern damit, dass ich ein Chaosmensch bin.

Als ich einige Wochen später weitergelesen habe, bin ich relativ schnell wieder reingekommen. So ist das Buch am Anfang. Die Handlung ist (noch) relativ überschaubar, auch wenn es natürlich Details gibt, die ich kurz vergessen hatte. Der Rentner Harold Fry bekommt also einen Brief von seiner alten Kollegin und guten Freundin Queenie Hennessy, die irgendwann einfach verschwunden ist. Es ist ein Abschiedsbrief, denn Queenie hat Krebs und wird sterben. Harold ist bestürzt und schreibt einen Antwortbrief, den er zum nächsten Postkasten bringen will. Dann geht er zum nächsten und wieder zum nächsten, bis er schließlich zu dieser langen Reise quer durch England aufbricht, um Queenie seinen Brief persönlich zu überreichen.

Wie gesagt, der Anfang ist leicht zu lesen. Eine entspannte Lektüre, irgendwie. Es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass Harold und seine Frau Maureen nicht die beste Ehe führen, dass Harold ein gespanntes Verhältnis zu seinem Sohn David hatte und nun keinen Kontakt mehr zu ihm hat und dass Harold sich insgesamt mit seinem Leben nicht ganz glücklich ist. Trotzdem ist alles irgendwie zugänglich und nimmt einen emotional nicht so sehr mit. Stattdessen macht es Spaß, Harold auf seinem Weg zu begleiten und mit ihm die Menschen kennenzulernen, denen er begegnet. Eine gewisse Melancholie schwingt bei jeder Begegnung mit, weil jeder so seine eigenen Probleme hat, die manchmal im Detail erzählt und manchmal nur angedeutet werden.

Mit der Zeit hat dann mein Unbehagen zugenommen. Es gab immer mehr Hinweise darauf, dass etwas nicht stimmte, dass in der Vergangenheit etwas Schlimmes passiert sein muss, was Harold und Maureen noch immer begleitet. Normalerweise bin ich für diese Art von Drama und schlimme Vergangenheit nicht zu haben, aber Harolds und Maureens Art, damit umzugehen, haben das Ganze irgendwie realitätsnah gemacht. Menschlicher und weniger überdramatisch, um Drama zu haben. Was nicht heißt, dass es keine starken Emotionen gab, die haben beide Hauptcharaktere gehabt. Aber sie waren authentisch und nicht erzwungen.

Gleichzeitig wurden auch die Probleme, die Harolds Bekanntschaften hatten, immer ernster. Was mir gefallen hat: Rachel Joyce hat psychische Leiden beschrieben, ohne einen Namen, eine Diagnose anzugeben. So habe ich zumindest auch die Nebencharaktere als Individuen mit ihren ganz eigenen Problemen kennengelernt und nicht als "der mit der Panikstörung" oder "die mit der Depression". Letztendlich sollte so eine Diagnose ja auch nur dazu dienen, eine Behandlung zu finden und nicht dazu, jemanden zu charakterisieren.

Harold und Maureen haben es irgendwie geschafft, mich zu fesseln. Am Anfang wirkte Harold auf mich wie ein Durchschnittsmensch, aber sympathisch. Maureen war mir unsympathisch, das gebe ich zu. Irgendwann hat sich das aber gelegt und ich habe wirklich gehofft, dass die beiden ihre Beziehung kitten können. Und ich wollte endlich wissen, was genau passiert ist. Stellenweise war ich verwirrt und habe mich dazu gedrängt, weiterzulesen. Und als dann die Auflösung gegen Ende kam, hat mich das sehr mitgenommen. Mehr, als ich gedacht hätte. Dieses Buch ist nicht nur zum Träumen und Entspannen, wie ich anfangs dachte. Dieses Märchenhafte, das es anfangs für mich hatte, ist irgendwann verschwunden. Stattdessen ist deutlich geworden, dass Harolds Geschichte nie wirklich märchenhaft war.

Einen Kritikpunkt habe ich aber trotzdem, und der liegt bei der Sprache. An sich ist die Übersetzung nicht schlecht, aber es gab hin und wieder ein paar Stellen, die etwas umständlich formuliert waren. Manche dieser Passagen ließen erraten, wie die Stelle wohl auf Englisch formuliert sein musste. Die Autorin merke ich mir, aber sollte ich wieder etwas von ihr lesen, wird das im Original sein. Das ist mir sowieso lieber.

Fazit: Ich würde "Harold Fry" weiterempfehlen. Ich habe bisher nun nicht viele Selbstfindungsromane gelesen, aber ich würde sagen, dass das hier einer der guten ist. Ich wünschte, ich hätte das Buch auf Englisch gelesen, aber da bin ich wohl selber schuld, wenn ich mir ein Buch bei REWE kaufe. ^^' Trotzdem ist es auch in der deutschen Fassung schön und sehr einfühlsam erzählt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen